08.10.2020
“Wenn einer vom Berg kommt, ist er ein anderer Mensch!”
Vor 2 Wochen bin ich zurückgekehrt, aus der Steiermark, vom Dachsteingebirge – genauer gesagt aus Ramsau am Dachstein.
Ich habe dort am Sommerkurs meiner Bergwanderführerausbildung teilgenommen, die für mich als Grundlage dient, zukünftig Menschen am Berg im Rahmen meiner Team- und Leadership-Workshops in der Natur sicher zu führen. Ein weiterer Grund ist aber auch, dass ich mir für meine eigenen Touren und Trailwanderungen die erforderliche Substanz aneignen möchte, um die Natur und den Lebensraum “Gebirge” in seiner Vielfältigkeit und auch seinen potentiellen Gefahren besser einschätzen zu können – für mich und die dort vorkommenden Lebensformen.
Und dort habe ich diesen Satz gehört, der mich immer noch intensiv beschäftigt:
“Wenn einer vom Berg kommt, ist er ein anderer Mensch!”.
Rauf auf den Luserriedel
Am zweiten Tag unserer Ausbildung haben wir eine Wanderung mit meinem Lehrteam auf den “Luserriedel” gemacht, einem Bergrücken, der auf ca. 1850 m Höhe östlich vom hohen Dachstein gelegen ist. Es war ein warmer Spätsommertag, mit teils sehr steilem Aufstieg und sehr unterschiedlichen Bedingungen. Oben angekommen bot sich uns in westlicher Richtung ein atemberaubender Blick über die Silberkar Klamm hinweg weit ins Tal hinein und auf die gegenüberliegende Wasenspitze. In östlicher Richtung erstreckte sich die Luserwand mit ihren charakteristischen, über mehrere hundert Meter abfallenden steilen Felsformationen.
Nach ein paar Orientierungsübungen im Gelände und einer “Jausen” auf dem Gipfelgrat kehrten wir ins Tal zurück, um am Abend noch an einer theoretischen Einheit zum Thema “Wetter” teilzunehmen.
Der Abstieg und eine weise Aussage
Im Tal angekommen kehrten wir noch auf eine Erfrischung im Burgstaller Hof ein, der direkt an unserem Parkplatz gelegen war. Dort bediente uns die Hüttenwirtin, eine geschätzt weit über 80 Jahre alte Frau mit schlohweißen Haaren, die in ein sehr feines, dunkelblaues Dirndl gekleidet war. Sie brachte uns die Getränke an den Tisch, sichtlich gezeichnet vom Alter und körperlich eigentlich nicht mehr in der Lage, diese Arbeit auszuführen.
Sie erzählte uns davon, dass sie früher die Hütte mit aller Art von Essen, warmen Speisen und Kuchen, und Getränken für die Wanderer bewirtschaftet hat, allerdings dazu aufgrund ihres körperlichen Zustands nicht mehr in der Lage sei. Dabei strahlte sie aber auch eine unglaublich mentale Energie aus, die mich wirklich beeindruckt hat. Auf die Frage, warum sie diese Arbeit überhaupt noch macht, antwortete sie, dass sie die Geschichten der Menschen, die wieder von ihren Wanderungen zurückkommen, interessiert und gleichermaßen fasziniert.
Warum?
Sie sagte uns, dass sich Menschen, wenn sie in den Bergen unterwegs sind, verändern und man es ihnen ansehen kann. Und dann prägte sie den Satz, der mich nicht mehr losgelassen hat: “Wenn einer vom Berg kommt, ist er ein anderer Mensch!”.
Kopfzerbrechen und ein paar Erkenntnisse
Ich habe seit diesem Nachmittag sehr oft darüber nachgedacht, was mir dieser Satz der Hüttenwirtin wirklich sagen will – im Grunde kann ich es ja nachvollziehen, ich spüre es ja selber. Und immerhin beschäftige ich mich im beruflichen Umfeld zu einem großen Teil mit Veränderungen und der Kompetenz, Veränderungen zu erkennen und anzunehmen.
Also bin ich einfach in mich selbst gegangen und habe meine bisherigen Wanderungen, meine Erlebnisse, meine Gefühle in den entsprechenden Situationen und auch die Tage am Dachstein zuletzt Revue passieren lassen.
Meine Erkenntnisse dazu sind (zumindest zum jetzigen Zeitpunkt) die Folgenden.
Das mit der Wahrnehmung und der Demut
Der Berg ist eine andere Welt, die in erster Linie nicht zu meinem normalen Lebensraum gehört, in dem ich aufgewachsen bin. Ich darf erst einmal wahrnehmen, um überhaupt zu verstehen. Mit der Wahrnehmung kommt die Erkenntnis, dass mein bisher erlerntes Wissen nicht ausreicht, diesem Lebensraum mit all seinen Facetten und Unwägbarkeiten zu begegnen. Also darf ich lernen, damit umzugehen und mich als Mensch gegebenenfalls den Bedingungen unterzuordnen, in dem ich sie bewusst annehme, akzeptiere und mich im richtigen Moment zurückziehe.
Die Komfortzone
Am Berg kann immer irgendwann die Situation kommen, in der ich körperlich, mental und emotional an meine Grenzen komme. Das heißt, ich verlasse meine Komfortzone und muss mich einer neuen Herausforderung stellen – auf unbekanntem Terrain mit unterschiedlichen Rahmenbedingungen.
Die Balance ist entscheidend
Wenn ich am Berg unterwegs bin, lasse ich mich vollkommen darauf ein, es ist gar nicht anders möglich. Ich entdecke dann meine Basis wieder, die mir die Kraft im täglichen Leben gibt und mich erdet. Diese Basis beruht auf Ruhe, Entspannung und Fokus auf mich selbst und endet letztendlich in Gelassenheit, mit dem ich im Hier und Jetzt sein kann.
Anpassungsfähigkeit ist einer der Schlüssel für Veränderung
Ich durfte auf meinen Wanderungen immer wieder feststellen, wie sich die Natur an die Gegebenenheiten anpasst und damit Veränderungen begegnet. Ein Paradebeispiel ist die Sky Pilot, eine Pflanze des John Muir Trail in der High Sierra, die erst ab 3.900 Meter über dem Meeresspiegel zu wachsen beginnt – in einer der vermeintlich kargesten Lebensumgebungen, die wir uns vorstellen können. Nichts als Fels und Stein im weiten Umkreis, das nenne ich faszinierend und ich ziehe den Hut vor dieser Leistung. Es hat mir gezeigt, dass auch wir als Menschen uns den Veränderungen anpassen und sie uns zu eigen machen dürfen, um bestehen zu können.
Demut und Respekt
Ich glaube, dass am Ende vor allem die Demut steht, in die wir uns gerade vor dem Hintergrund dieser unglaublich faszinierenden aber eben auch unwirtlichen Welt stellen dürfen. Demut vor der unfassbaren Schönheit und der immensen Vielfalt der Natur – mit dem notwendigen Respekt vor dem Lebensraum der dort ansässigen Tier- und Pflanzenwelt.
Dies sind nur ein paar grundsätzliche Gedanken, die mir mit diesem Satz im Hinterkopf, bewusst geworden sind und dass es immer um Veränderung geht, die in und mit uns geschieht, wenn wir am Berg sind.
Ich danke dieser wunderbaren Frau, der Hüttenwirtin des Burgstallerhofes, die mir diese Gedanken und Gefühle mit auf den Weg gegeben hat. Weise Worte von einer weisen Frau.
Und ja, der Berg hat mich einmal mehr verändert, am Dachstein, in der Steiermark, in diesem Jahr.
Was sind Deine Gedanke dazu?
#SilentWaves #wervombergkommtisteinanderermensch #Veränderung
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2 Comments
The journey is more important than the destination ?
Dear Gijs,
Thanks for your comment and yes…true destination follows, when you are on your journey being mindful, consciously and by yourself.
Cheers, Jens